Brauchtum

Ellmauer Kassettlfrauen

Veröffentlicht am

16. November 2017

von

Sabina Moser

Ellmauer Kassettlfrauen

Das Kassettl oder Röcklgwand hat sich seit dem 19. Jahrhundert vor allem im Tiroler Unterland als höchste Festtagstracht etabliert, die seiner Trägerin eine besondere Würde verleiht und oft mit Ehrfurcht von Generation zu Generation weitergereicht wird. Vor etwa 50 Jahren wurde in Ellmau die Tradition des Kassettls durch die damalige Ortsbäuerin Marianne Prantner von Oberkaisern wieder neu belebt und so rücken heute wieder bis zu 25 Kassettlfrauen vor allem bei kirchlichen Anlässen gemeinsam in der vornehmen und wertvollen Tracht aus.

Greti Sojer, 82, Altbäuerin zu Oberhansen, und Maria Leitner, 61, Obfrau des Obstbauvereins, erzählen, wie sie zu ihrem Röcklgwand kamen und was es mit den verschiedenen Hüten auf sich hat.

Greti: „Als ich 1956 geheiratet habe, hat mir mein Mann Michael das Kassettl geschenkt, aber meistens hat ein Vater seiner Tochter das Röckl zur Hochzeit bezahlt. Die komplette Ausstattung war immer schon teuer, dafür hast du es ja auch ein Leben lang. Damals war es ungefähr so teuer wie eine Kuh, die hat aber auch mehr gekostet als heut.

Den teuren schwarzen Wollstoff fürs Gwand habe ich in Kufstein gekauft und die Freisinger aus Ebbs hat’s dann genäht, den Seidenschurz mit Blumenmuster habe ich mir selber gemacht. Mein Mann muss mir bis heut beim Anlegen helfen, weil das Mieder hinten am Kittel eingehängt wird und die Hakerl an der Seite sind und es muss eng sitzen. Bequem ist a Röckl nit, besonders im Sommer schwitzt ma in dem warmen Stoff ganz schön. Übers Mieder geht der Brustteil drüber zum Abdecken und drunter gehört ein weißes, goldbesticktes Tuch, bei einem Traueranlass ist es ein Schwarzes.“

Maria: „Ich hab mein Kassettl von meiner Mutter Maria Koller, der Oberkoller-Bäuerin aus Söll, geerbt, weil es mir am besten gepasst hat. Sie hat es zu ihrer Hochzeit 1950 bekommen und ich hab ihr oft beim Anlegen geholfen. Bei einer Hochzeit kamen früher oft Nachbarinnen, um der Braut beim Anziehen des Röcklgwands zu helfen.
Die Krönung ist natürlich der Hut und je nachdem, wo der „Pfotsch“, die goldene Quaste, sitzt, weiß man, woher die Kassettlfrau kommt. Bei uns im Unterland ist der Pfotsch auf der Seite, die Pinzgauerinnen tragen ihn hinten und im Zillertal hat der Hut vorne gleich zwei goldenen Quasten.“

Es gibt zwei verschiedene Hüte, weil es auch zwei unterschiedliche Festtrachten gibt. Das Kassettl oder Röcklgwand wird immer am höchsten Feiertag angezogen, wie am Ostersonntag, Heiligabend und Pfingstsonntag. Am Ostermontag zum Beispiel zieht man das „Nachstbest“ an, das zweitbeste Gwand, einen schwarzen Kittel mit schwarzer Bluse und einem Schultertuch drüber.

Greti: „Und dazu trägt man dann den „Bandlhut“ oder „Nachstbest“-Hut. Der Kassettl-Hut mit dem goldenen „Pfotsch“ heißt „Schnurlhut“. Der Bandlhut ist genauso wie der Schnurlhut aus schwarzen Samt, hat aber rundum ein breites, schwarzbesticktes Band mit Schleife statt Pfotsch. Beide sind an der Unterseite mit Goldlitzen verziert und haben zwei lange, breite, bestickte Samtbänder, die im Nacken mit einer Spange zusammengehalten werden und den Hut so gut am Kopf halten.“

Maria: „Früher hat die Ursula Aggstein in Going, die nur „Bischtusch“ genannt wurde, weil sie die Tochter von Bürstenmachern war, solche Hüte gemacht und auch repariert.“

Als Schmuck, aber vor allem, um sich gegen Kälte zu schützen, wird übers Kassettl oder Nachstbest ein großer, bunt gewebter Schal getragen. Dieser Doppelschal wird von Hand nach alten Paisley- und Blumenmustern gewebt, ist so groß wie zwei Tischtücher und wird dann aufeinandergelegt zusammengenäht, daher der Name. Der wird dann als Dreieckstuch mit umgeschlagenem Kragen übergeworfen und vorn mit einer großen Schmucknadel befestigt.

Greti: „Mein Schal stammt schon von meiner Großmutter, den hüte ich wie einen Schatz.“

FOTOS: Und wie einen Schatz hütet Greti Sojer auch die alten Fotos, die sie mitgebracht hat. Auf einem Bild von ca. 1860 sind ihre Urgroßeltern zu sehen, die Unterkaisern-Bauersleut Martin Widschwendter und seine Frau Maria im Röcklgwand mit damals noch breitkrempigem Hut. Auf einem anderen Foto sieht man die junge Oberhansen-Bäuerin Greti im Kassettl 1961 als Firmgodl der Ellmauerin Erna Gogl, heute Kopp. In Maria Leitners Stube zeigt uns Greti ihre mitgebrachten Schnurl- und Bandlhüte.
Maria selbst führt auf einem Foto ihr geerbtes Kassettl mit neuem rotem Seidenschurz vor.

Ebenso wie anno dazumal bedeutet die Anschaffung eines Kassettls eine bewusste Investition in gelebtes Brauchtum. Denn allein das aufwendig genähte und bestickte Kleid kostet je nach Ausführung mehrere tausend Euro, für den Schnurlhut sind etwa 1.500 Euro hinzulegen und eine goldene „Kropfkette“, die unbedingt dazugehört, kostet um die 600 Euro. Ein großer, handgewebter Doppelschal schlägt dann noch mit 1.200 Euro zu Buche. Doch diese Tracht, noch dazu in Gemeinschaft, zu tragen, erfüllt ein Leben lang mit Stolz und einem einzigartigen Gefühl.

Greti: „Das Röckl tragen, ist eine ehrenvolle Sache, weil es keinem anderen Gewand gleicht.“

Maria: „Mich freut‘s, dass es auch wieder mehr junge Frauen im Kassettl gibt!“

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