„Alles hat vor dreißig Jahren bei einem Frühschoppen im Jägerwirt angefangen“, erinnert sich Lois daran, wie er zu dieser besonderen Aufgabe kam. „Die Gemeinde Scheffau war auf der Suche nach einem Totengräber, weil der Makircher Hansei beim Kirschenklauben aus dem Baum gefallen ist und tot war. Halb aus Gaudi hab ich gesagt, dann mach ich es halt, und als bald danach jemand gestorben ist, haben sie mich wieder gefragt. Ich hatte ja keinen, der mich einlernt, aber der damalige Ellmauer Totengräber, der Unterbiedringer Wast (Schermer), hat mir bei den ersten beiden Todesfällen in Scheffau geholfen.“
Die ersten zehn Jahre hat Lois Horngacher die Gräber nur mit der Hand ausgehoben, das bedeutet 2,20 Meter tief ausschaufeln und dann anderthalb Meter hoch Erde in einen Behälter hinein. In Ellmau hat Lois nach dem Tod vom Wast dem zwischenzeitlichen Totengräber Thomas Gogl ausgeholfen, bevor er 1992 dort das erste Mal alleine eingegraben hat. Lois bewirtschaftet ansonsten mit seiner Frau Anni den Brandlhof in Scheffau Bärbichl mit 30 Stück Vieh und ist seit 43 Jahren im Winter auch „Liftinger“ beim Jochstuben Muldenlift. Manche Leute mussten sich erst an Lois‘ neue Tätigkeit gewöhnen, wie eine alte Bäuerin, die ihm am Anfang aus dem Weg gegangen ist, weil ihr der Gedanke, dass ihr Nachbar Lois sie eines Tages unter die Erde bringt, Angst machte. Dabei ist es Lois immer wichtig gewesen, dass „jeder würdig begraben wird“. Damit meint er, sauber und gewissenhaft arbeiten, denn speziell am Friedhof sind die Angehörigen empfindlich, dass alles gut abläuft.
„Im Gegensatz zu manchen Kollegen und der Meinung, dass diese Arbeit nur mit viel Schnaps und Bier zu bewältigen ist, hab ich schnell erkannt, dass mir der Schnaps nur die Kraft nimmt und lieber eine Cola getrunken“, erzählt der langjährige Totengräber und erinnert sich schmunzelnd daran, dass Makircher Hansei ihm und anderen Schulbuben manchmal menschliche Knochen nachgeworfen oder plötzlich ein Gebiss aus dem Hosensack gezogen und die Kinder damit erschreckt hat.
Dass die Arbeit eines Totengräbers nicht nur körperlich anstrengend ist, hat er auch erfahren, etwa bei Graböffnungen zu einem erneuten Todesfall.
„Die Leichen sind im Sarg ja in einen Plastiksack eingeschweißt. Wenn man den öffnen muss…“ Inzwischen werden immerhin Plastiksäcke verwendet, die sich selbst und damit das, was darin ist, abbauen, das macht die Sache erträglicher. Doch in seiner Anfangszeit hat sich Lois, auch durch das Handgraben, schon ab und zu eine Blutvergiftung bei der Arbeit zugezogen.
Wer mit dem Tod so auf „Du und Du steht“ wie er, hat auch schon Ungewöhnliches erlebt.
„Einmal hab ich nach zwanzig Jahren einen Sarg geöffnet und der Tote lag darin wie gestern gestorben. Es war ein massiver Eichensarg, der ihn so gut konserviert hat.“
Nah gegangen ist ihm der Fall, wo innerhalb kurzer Zeit mehrere, auch jüngere Mitglieder einer Familie starben und er das Grab immer wieder aufmachen und neu drauflegen musste.
Gern erinnert sich Lois dafür an die „Moar Wetti“, Barbara Nitz, die gleich neben dem Friedhof wohnte. Oft hat sie ihn nach getaner Arbeit auf einen Kaffee und Kuchen zu sich eingeladen. Da sie dem Alkohol nicht abgeneigt war und Lois ja selbst Schnaps brennt, musste er ihr hoch und heilig versprechen, im Falle ihres Ablebens eine Flasche von seinem Obstler mit ins Grab zu geben. Als die Wetti dann 2007 starb, haben laut Lois viele Ellmauer beim Begräbnis darauf geschaut, ob er diesem Wunsch auch nachkommt. „Natürlich habe ich ihr an Liter Schnaps ins Grab gestellt und als ihr Mann Sepp dann zwei Jahre später gestorben ist, war die Flasche noch intakt und hat dann eh für beide gelangt“, lacht Lois bei dem Gedanken an die beiden Ellmauer.
Manchmal müssen Gräber auch umgebettet werden. Da ist immer ein Amtsarzt dabei, damit alles seine Ordnung hat. Lois erinnert sich, dass einmal bei einer Umbettung von gleich mehreren Gräbern, der anwesende Amtsarzt beim ersten Grab zusah, wie akribisch Lois alle Überreste ausgegraben hat, so dass er ihn vertrauensvoll allein weitermachen ließ. „Da arbeitet man ja fast wie ein Archäologe.“
Seit gut zwanzig Jahren werden die Gräber mit einem Bagger ausgehoben, allerdings war zunächst nur ein kleiner Bagger im Einsatz, den man am Friedhof erst zusammenbauen musste, was schwer und aufwendig war. Der neue Raupenbagger erleichtert die Arbeit seit zwölf Jahren mit einer Zange, wodurch man auch aus der zweiten Reihe ein Grab ausheben kann. Allerdings ist die Kiste, die dann reinkommt, weiterhin sehr schwer, deshalb helfen seit zehn Jahren Ellmauer Gemeindearbeiter dem Totengräber beim Aufstellen.
„Ich würde es jederzeit wieder machen“, sagt Lois mit Nachdruck, „der Totengräber gehört zu einer Gemeinde und zum Leben dazu. In den Tagen zwischen Sterben und Eingraben ist man auch eine Art Seelsorger und Begleiter für die Hinterbliebenen. Wenn die Angehörigen mich am Friedhof ansprechen und zufrieden sind, ist mir das viel wert. Ich habe auch nie Schwierigkeiten gehabt, das Grab rechtzeitig auszuheben oder nach der Beerdigung fertig zu werden.“ Bei Todesfällen im Winter musste Lois Horngacher dann allerdings vom Lift freinehmen und das Grabausheben und Eingraben an einem Tag schaffen. Überhaupt hat er in all den Jahren nie Urlaub genommen, war immer zur Stelle. „Nur vier Gräber habe ich in 30 Jahren nicht machen können, weil ich zum Beispiel die Hand eingegipst hatte.“
Wenn er nun mit 60 Jahren diese Aufgabe in jüngere Hände legt, wünscht sich Lois Horngacher, dass sich ein guter Nachfolger findet, „denn es macht schon einen Unterschied am Friedhof, ob jemand aus der Gemeinde die Toten bestattet oder einer Fremder kommt.“ Ellmau und Scheffau sagen ihrem verdienten Totengräber nun ein tief empfundenes Vergelt’s Gott für seinen jahrzehntelangen verlässlichen Dienst an den Verstorbenen.